Im Dezember 2003 machte das „Web 2.0“ erstmals Schlagzeilen; elf Jahre nach der Gründung zählt Facebook nach eigenen Angaben 1,44 Milliarden Mitglieder (mindestens ein Mal im Monat aktiv); 28 Millionen sind es in Deutschland; die Reichweite von Postings kann das 8- bis 10-fache der Anzahl der Fans übersteigen; für 2016 wird Facebooks weltweiter Werbeumsatz auf 21,43 Milliarden US-Dollar prognostiziert. Und auch YouTube, Instagram und Snapchat entwickeln sich zu Halbschwergewichten der Social Media Branche.
Es ist ganz offensichtlich, dass sich soziale Netzwerke – insbesondere Facebook – seit ihren Anfängen um 2003/2004 zu einem gigantischen Markt entwickelt haben. Und dennoch, dennoch, begegnen mir im Laufe meines Tages in der Agentur, in Telefonaten, in Meetings oder auf Konferenzen immer wieder Unternehmen, die dankend abwinken. „Nein, lieber nicht“, heißt es dann. Instagram, Snapchat, Facebook, Twitter kenne man nicht wirklich, und überhaupt fehlen die Ressourcen. Alles viel zu unsicher. Aha, hier liegt also der Hase begraben: Unsicherheit, Angst.
In der Regel begegnet mir in solchen Gesprächen vor allem die Angst vor dem berühmten Shitstorm. Marken werden auf Pinnwänden gnadenlos zerrissen, jahrzehntelange Marketingbemühungen werden in Bruchteilen regelrecht vernichtet. Am Ende bleiben nur Geschrei und Tränen. Wer clever ist, setzt keinen Fuß mehr auf den digitalen Boden, zieht besser den unternehmerischen Kopf ein und kauert sich in die Höhle der Social-Media-Verdammten. Wehe Euch, wagt es bloß nicht, nach einem Shitstorm noch einmal Erfolg haben zu wollen!
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Wagt es – endlich!
Oder, warum nicht? Wagt es! Los! Warum sollte ein möglicher, aber doch eher unwahrscheinlicher Shitstorm – der (haltet Euch fest!) auch positive Effekte bringen kann – ein Grund dafür sein, das (tägliche) Potenzial von Social Media Marketing zu verschenken. Ja, genau, denn Sie schenken Ihrer Konkurrenz die Chance, Ihre Kunden und Fans zu gewinnen und zu bewerben.
Social Media Marketing punktet insbesondere hinsichtlich der zielgruppenspezifischen Ansprache, der Reichweite und der Kosten. Sicherlich darf man beim Thema Social Media Marketing keinesfalls den Aufwand vergessen, der mit der Erstellung hochwertiger Inhalte verbunden ist, die selbstverständlich keine Kopie der üblichen Unternehmenswerbung sein sollte. Aber mit vergleichsweise geringem Aufwand – insbesondere hinsichtlich der Zeitspanne zwischen Idee und Publikation – kann man über soziale Netzwerke viele Menschen erreichen, die darüber hinaus auch zur Zielgruppe gehören.
Bei der Reichweite eines Posts kann man durchaus von durchschnittlich 10 % ausgehen, mindestens. Gute Beiträge erreichen auch bis zu 20 % der Fans, im Durchschnitt. Vereinzelt lassen sich aber Reichweiten von 800 bis 1.000 % (!) verbuchen. Im Zusammenhang mit einem hohen Engagement seitens der User – zum Beispiel eine hohe Verweildauer auf der Seite – kann man von echten Erfolgen des Social Media Marketings sprechen.
Soziale Netzwerke sind keine Presseverteiler oder Plakatwände
Damit es dazu kommt, ist hoher Einsatz gefragt. Die Facebook-Page sollte nicht als zweite Presseschleuder verwendet werden, mit der man schnell die jüngsten Kreationen der PR-Abteilung ausspuckt. Fans – FANS (Leute, die freiwillig einer Unternehmensseite folgen, weil sie an ihr interessiert sind) – lassen sich nur ungern für dumm verkaufen. Wenn Sie Social Media als zusätzlichen Verkaufs- und Werbekanal nutzen, ist Ihnen in der Regel nicht geholfen. Der Aspekt der „echten“ Kommunikation ist im Social Media Marketing von großer Bedeutung. Unternehmen und User begegnen sich auf Augenhöhe, tauschen Informationen und Meinungen aus, unterstützen einander. Es findet ein Dialog statt. (Überlegen Sie an dieser Stelle einmal, wie Sie mit Kollegen oder Freunden kommunizieren, was einen Dialog ausmacht? Es finden sich sicherlich interessante Ansätze). Das erfordert die Anpassung der Inhalte (besser sollte Content eigens für soziale Netzwerke entwickelt werden) und der Ansprache: Weg von der rein werblichen Kommunikation – hin zu interessanten Themen, Hintergrundinformationen und Feedback.
Möglich wäre eine solche Herangehensweise:
- Welchen Nutzen hat der Social Web Auftritt für die Kunden?
- Welches Interesse verfolgt die Zielgruppe?
- Ist das Werbung (oder kann das weg)?
- Hören Sie Ihren Fans zu – auch an anderer Stelle im Netz
- Gehen Sie konstruktiv mit negativer Kritik um – keiner ist fehlerfrei!
Lernen Sie aus dem Feedback – hier steckt großes Optimierungspotenzial für Produkte, Dienstleistungen, Service und Content in sozialen Netzwerken
Kampagnen und Inhalte, die Sie über soziale Netzwerke verbreiten möchten, sollten in jedem Fall gut geplant sein. Arbeiten Sie daher nie ohne eine Strategie, ohne einen Fahrplan. Es wird Ihnen viel Ärger ersparen, wenn Sie Content vor dem Live-Gang im internen Umfeld auf Herz und Nieren prüfen. So können Sie sich auch auf mögliche Kritik einstellen. Wenn Sie bewusst provozieren wollen, rechnen Sie mit negativem Feedback. Liefern Sie regelmäßige Inhalte und nicht nur Werbeanzeigen, PR-Videos oder ähnliches, und reagieren Sie zeitnah auf Anfragen, Feedback und Kritik. Und immer daran denken: Das Löschen von Posts oder Kommentaren ist verpönt, das absolute No-Go, der Vorbote zur digitalen Shitstorm-Hölle!
Meinungen & Kritik ernst nehmen
Ist das Kind in den Brunnen gefallen, sollten Sie auf verschiedene Faktoren achten, zunächst aber nicht in Panik geraten. Wenn Sie bereits im Vorfeld Social Media Guidelines definieren, über den Umgang mit Usern, Kommentaren und Kritik, haben Sie eine erste Orientierung für die soziale Krise. Grundsätzlich profitieren Sie von einer zeitnahen Reaktion auf Meinungen und Kommentare, die Sie in jedem Fall ernst nehmen sollten. Sicherlich gibt es Trolle, die wenig Konstruktives beitragen, aber eine negative Äußerung wird in sozialen Netzwerken nicht einfach so veröffentlicht, sondern in der Regel weil sich der User / Kunde nur noch hier zu helfen weiß. Verweisen Sie ihn also nicht einfach nur an den Kundendienst, sondern offerieren Sie den Kontakt per E-Mail. Suchen Sie das persönliche Gespräch – für den Fall, dass eine Einzelperson Kritik übt. So können Sie die negative Meinung eventuell beseitigen und reduzieren in jedem Fall das Meckerpotenzial auf der öffentlichen Pinnwand. Sollten sich die User zusammengerottet haben, eine hetzende Meute bilden, dann empfiehlt sich auch hier der Dialog auf Augenhöhe. Bemühen Sie sich um eine schnelle Problemlösung, gestehen Sie Fehler ein, wenn diese gemacht wurden. Wälzen Sie Probleme nicht auf den Kunden ab. Wenn Sie kontern, dann nur im Rahmen Ihrer Firmenphilosophie wie etwa True Fruits. Social Media Marketing Neulingen ist eine solche Strategie allerdings nicht zu empfehlen.
Der Shitstorm führt Unternehmen nicht in den Ruin
Ein „social crisis“ ist keine Katastrophe. Natürlich ist Kritik äußerst unschön, schließlich will man seine Zielgruppe ja eigentlich erfreuen und zufrieden stellen. Aber die reale Welt sieht anders aus. Da lassen sich Smoothie-Trinker über mutmaßlich sexistischen Humor aus, Fans überfallen Fußballvereine verbal und User lärmen gegen Versandhäuser oder kratzbürstige Outdoor-Ausrüster.
Zu dauerhaftem Schaden oder gar zum Ruin des Unternehmens haben die Entrüstungswellen im Web aber nicht geführt. Auch aus dem Grund, weil viele Kritiker überhaupt nicht Teil der Fans und Follower sind. Teilweise erhalten Unternehmen (für ihre Reaktionen auf Kritik) sogar Zuspruch und können nach einem Shitstorm durchaus Fanzuwachs begrüßen.
Vergessen darf man auch nicht, dass ein Shitstorm (zumindest in den Anfängen) von Feedback begleitet ist – wenn auch negativ. Im Normalfall geben Unternehmen ein hohes Budget für Kundenbefragungen und Marktanalysen aus. Hier erhalten Sie wertvolles Feedback völlig kostenlos. Und aus Meinungen ergeben sich immer Optimierungspotenziale für einzelne Produkte, die Marke, das Angebot oder den Service. Und überhaupt: Wer kann schon behaupten, in allen Facetten perfekt zu sein?
Krisen können nicht vermieden werden – ob man sich im Social Web beteiligt oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit eines Shitstorms sollte aber nicht vor der Aktivität in sozialen Netzwerken hemmen. Denn Social Media Marketing bringt weitaus mehr Potenziale als die Angst vor Kritik groß sein könnte. Negative Kommentare fallen so oder so. Wenn Sie mit einer Page vertreten sind, entschließen Sie sich nicht der Diskussion, sondern werden Teil und können sie aktiv steuern.